Was ist männliche Energie, und wie drückt sie sich aus? Wohl kaum ein anderes Thema ist so kontrovers.
Zuerst einmal müssen wir verstehen, dass männliche Energie weder gut noch schlecht ist. Sie ist wie ein Messer: Man kann damit etwas kochen oder einen Menschen umbringen. Was von beidem geschieht, hängt von dem Menschen ab, der das Messer führt. Unser Bild von Männlichkeit wurde über die letzten tausend Jahre stark geprägt. Wir verbinden sie oft mit Krieg, Gewalt und Machtmissbrauch. Diese Assoziationen sind durchaus berechtigt, denn sie sind ein Ausdruck männlicher Energie. Gleichzeitig zeigen diese Bilder, dass die männliche Energie, wie sie in der Vergangenheit gelebt wurde , von der natürlichen Schöpfung und vor allem von der weiblichen Energie getrennt war. Sie führte gewissermaßen ein Eigenleben, was dazu führte, dass ihre natürlichen Qualitäten von Kraft und Stärke ausschließlich zu eigennützigen Zwecken genutzt wurden. Ich möchte in diesem Beitrag erläutern, dass es auch andere Wege gibt, männliche Energie zu verkörpern.
Es gibt gesellschaftlich eine Tendenz, männliche Energie zu verteufeln. Dies entsteht meines Erachtens durch ein unvollständiges Verständnis von wirklicher Männlichkeit und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Als Metapher können wir eine Blume nehmen. Sie ist sehr filigran und ein Ausdruck weiblicher Energie. Um zu erblühen, benötigt sie einen Boden, der ihr Stabilität und Sicherheit gibt. Hat die Blume diese Sicherheit und vertraut den Qualitäten, die der männliche Halt des Bodens mit sich bringt, so wird sie beginnen, in ihrer Schönheit zu erblühen und ihr Inneres vollständig zum Ausdruck zu bringen. Diese Analogie zeigt die Wichtigkeit des Zusammenspiels beider Energien. Denn weder kann die Blume ohne Boden erblühen, noch kann der Boden ohne die Blume seine Funktion erfüllen. Sie sind füreinander geschaffen und können ohne ein vollständiges Zusammenspiel ihr Inneres nicht entfalten. Da der Ausdruck der männlichen Energie in der Vergangenheit sehr selbstzentriert war, gab es eine Spaltung der beiden polaren Kräfte. Beide haben sich mehr und mehr voneinander distanziert und sich somit das Potenzial, das sie in einem harmonischen Zusammenspiel hätten, verwehrt.
Was können wir Männer jetzt also tun, um unsere integrierte und verbundene Männlichkeit wieder zu verkörpern?
Der erste Schritt besteht darin, uns zu fragen, was unsere Bestimmung als Mann ist und welche Form der Männlichkeit wir verkörpern wollen. Normalerweise würde dies in einem Jungen entstehen, wenn er einen Vater als Vorbildfigur hat, der ihm zeigt, wie eine gesunde Männlichkeit aussieht. Da dies jedoch nur sehr selten der Fall ist, müssen wir uns selbst auf den Weg machen und für uns definieren, welche Attribute uns wirklich entsprechen. Für mich besteht der Kern der männlichen Energie in vollständiger Selbstintegrität. Das bedeutet, dass man als Mann im ersten Schritt die volle Verantwortung für seine inneren und äußeren Gegebenheiten übernimmt. Dies betrifft sowohl die eigenen Gefühle und Gedanken als auch die Lebensumstände, in denen man sich gerade befindet. Dieser Prozess benötigt definitiv eine gewisse Zeit, da wir Männer dies niemals gelehrt bekommen haben und es eine gewisse innere Arbeit voraussetzt, eine solche Selbstverantwortung halten zu können. Nichtsdestotrotz ist es die Arbeit wert. Anfangs scheint es nahezu unmöglich, eine derartige Verantwortung zu tragen und gleichzeitig emotional verfügbar zu sein. Doch es liegt in unserer Natur, diesen Raum des integrierten Mannseins zu verkörpern. Ist es uns nicht möglich, dies zu tun, liegt das an inneren begrenzten Anteilen, die diesen Raum noch nicht einnehmen können. Vielleicht befinden sich Aspekte in uns noch in einem kindlichen Zustand, da sie sich aufgrund fehlender Gegebenheiten nicht vollständig entwickeln konnten.
Eine getrennte Männlichkeit würde in diesem Moment versuchen, alles alleine zu regeln. Doch genau hierin unterscheidet sich eine verbundene Männlichkeit von einer abgespaltenen Männlichkeit. Die emotionalen Anteile in uns Männern, die sich auf unserem Weg zu uns selbst zeigen, stehen auch in Verbindung mit der weiblichen Kraft. Die Kraft der Frau hilft uns, mehr zu uns selbst zu kommen, genauso wie wir mit unserer Kraft der Frau dabei helfen ihr inneres zu erkennen. Können wir uns darauf einlassen, sind wir auf dem besten Weg, unsere wahre Männlichkeit zum Ausdruck zu bringen und sowohl uns selbst als auch unserem Umfeld wieder die Kraft und das Vertrauen zu schenken, dass diese Energie in der Welt benötigt wird. Wir werden niemals zu einem friedlichen Miteinander gelangen, wenn wir nicht bereit sind, die Vergangenheit hinter uns zu lassen und neue Wege einzuschlagen.

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